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Technologieoffenheit

hcordes • Apr 06, 2023

Warum auch in der HIT mehr über Ziele und weniger über Wege geredet werden sollte.

Vielleicht sollte man in einer Zeit, in der oft mehr über Worte als Inhalte gestritten wird, nicht mit einem Wort befassen.


Noch dazu einem mit dem Begriff „Offenheit“. Der Zauber Platons ist heute wieder so leuchtend, wenn auch identitär fragmentiert, und Rawls‘ Freiheitskonzept so vergessen, dass eine „offene Gesellschaft“ manchmal wie Romantik wirkt.


Und zu guter Letzt wurde der früher einmal positive Begriff „Technologieoffenheit“ inzwischen umgewidmet zum Euphemismus für Rennfahrerlobbyismus und Klimagleichgültigkeit.


Dabei ist Technologieoffenheit doch ein erstrebenswerter Wert. Unsere Verfassung verlangt für Gesetze Allgemeingültigkeit (Art. 19 GG) und nicht Einzelfallregelungen. Insofern sollten gesetzliche Regelungen doch geradezu grundsätzlich technologieoffen sein.


Leider haben wir uns zu sehr an die Dominanz taktischer Fragen gewöhnt und geben daher immer öfter nur taktische Antworten. Verbrenner oder Elektro? Ist das wirklich unsere Frage? Als Wettbewerbswirtschaftler der immer noch an Hayeks Katalaxie (Wettbewerb als Suchprozess) und Schumpeters kreative Zerstörung glaubt, kann die Antwort nur sein: Nein! Unsere Frage sollte die nach dem Ziel sein: Was wollen wir erreichen und wie messen wir das? Dann ist die Antwort automatisch technologieoffen, sofern die (messbaren) Ziele erreicht werden. Reduktion von CO2 Emissionen ist doch unser Ziel. Wenn diese Reduktion vorgeschrieben wird, dann ist es tatsächlich gleichgültig, wie sie erreicht wird. Derzeit sehen eFuels eher nach einem Ausstoß von kaum weniger CO2 als Diesel aus, würden also, Stand heute, bei der Zielerreichung keine Rolle spielen. Wenn jemand in der Tat bereit ist, in ein Wunder zu investieren, das diesen Zustand ändert, warum aber nicht?


Was hat das mit Gesundheit und IT zu tun?


Ich glaube, wir haben auch in der Diskussion um die Modernisierung unseres recht veralteten Gesundheitswesens ähnliche Schwierigkeiten. Wir diskutieren über „Digitalisierung“ und das seit vielen, vielen Jahren. Und immer wieder wird dann gefordert, manchmal festgelegt und bisweilen sogar gefördert, was genau „Digitalisierung“ ist. DiGAs, TI, EPA, KHZG Fördertatbestände, Forschungsdatenpools. Wenn man ehrlich ist, das kommt einem alles vor wie eFuels: Der Ersatz von Zieldiskussionen durch vested interests.


Aber brauchen wir wirklich Digitalisierung? Persönlich denke ich: nein, genauso wenig wie EVs. Was wir brauchen ist Effizienz, Transparenz und Patientenorientierung im Gesundheitswesen, so wie wir Klimaschutz für die Welt brauchen. Das eine lässt sich aber vermutlich so wenig ohne Digitalisierung erreichen, wie das andere ohne eine deutlich breitere Nutzung von Elektromobilität. Aber wo genau, wie und mit welcher Technik im Speziellen? Das mag doch der Wettbewerb als Suchprozess bestimmen. Technologieoffen. Vorausgesetzt wir wissen und haben Konsens über die Ziele, die wir erreichen wollen.

Wenn wir einen gesellschaftlichen Konsens fänden, wie digital Patientendaten sein müssen, wer der Eigentümer ist und wie ich dieses Eigentum ausüben kann, dann brauchen wir nicht mehr über eine TI debattieren, die in Jahrzehnten zu keinem Ergebnis gekommen ist (was sicherlich nicht an der Technologie lag). Wir könnten es dem Wettbewerb als Suchprozess überlassen, die beste Möglichkeit zu finden, dieses Ziel zu erreichen. Wenn wir medizinische Ergebnisqualität zum Ziel erklärten und Leistungserbringer, die eine Mindestqualität nicht erreichen, aus dem Markt ausscheiden, dann wäre Medizin ohne integrierte, interoperable Patientendaten kaum denkbar. Digitalisierung wäre notwendiges Mittel, aber eben kein Zweck.


Das könnte Gewinner und Verlierer generieren. Wie das in einer offenen, wettbewerblichen Gesellschaft eben der Fall ist. Es bräuchte aber keine mühsamen und zumeist schnell obsoleten ex-ante Diskussionen über den Weg zum Ziel. Und Ziele könnten endlich auch erreicht werden.


Gleiches gilt für die laufende Diskussion zur Nutzung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken. Ob EHDS oder GDNG, einmal mehr wird über Datenpools, Dateninfrastrukturen, (öffentliche) Forschungsnetzwerke diskutiert. Statt ein klares Ziel zu formulieren. Verfügbarkeit von RWD zu Forschungszwecken. Wenn wir ein solches Ziel konsensfähig formulieren und die Kriterien zur Zielerreichung klar definieren, dann könnten wir es wieder dem Wettbewerb (gerne auch öffentlichem, aber eben nicht nur) überlassen, wie das Ziel erreicht wird. Derweil muss man kein allzu großer Pessimist sein, wenn man sich Sorgen macht, unsere Forschungsdaten werden den Weg der TI gehen und eine Weile brauchen bis sie etwas Produktives hervorbringen. Gegenfrage: wenn öffentliche Datenpools die Antwort sind, warum haben die zahllosen existierenden Register in den letzten Jahrzehnten nicht längst Forschungsergebnisse und Datenökonomie hervorgebracht? Warum haben wir in drei Jahren Pandemie immer noch keine belastbaren Auswertungen zu Corona, trotz all der sehr teuren zentralistischen Technologien? Dabei müsste man ja gar nichts erfinden, sondern einfach nur über den Gartenzaun schauen.


Ich glaube fest, auch im Gesundheitswesen könnte uns mehr Technologieoffenheit, mehr Allgemeingültigkeit, weniger Spezifizität und vor allem mehr klare Zieldiskussion und -definition sehr helfen. Digitalisierung oder auch Forschungsdaten sind eben keine Ziele. Sie sind lediglich Werkzeuge. Und die Gefahr ist, dass für jemanden mit einem Hammer alle Probleme Nägel sind.


Aber vor allem: wer kein Ziel hat, kann es auch nicht erreichen.

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